Hör-Tagebuch

2. November 2014
Trockene Eichenblattsinfonie wurde unter meinen Füßen entfacht – als begleitendes Rauschen sonst leerer Zwischenräume.

4. November
Wenn Tropfen fallen auf Blätter unter denen es noch hohl ist und eine menschliche Gestalt sich herauslöst aus dem Schatten zwischen dem Weißen des Lichts getakteter Straßenlaternen weiß man noch nicht von dem Nachklang versiegenden Regens.

14. November
Dürr wisperndes Eichenlaub im Gleichmaß des leer laufenden Rolltreppentaktes gehalten. Gehalten von oberster Leiste, in welcher anrollender Takt verschwindet. Das Laub bleibt – bis ein neuer Windstoß aus den Tiefen des Schachtes für wispernde Aufruhr sorgt.

15. November
Es ist beinahe schon beachtenswert, wie unerträglich nervig es ist, beim Telefonieren mit jemandem sein eigenes Echo zu hören. Dieses Echo tönt wohl in genau jene Momente hinein, die man braucht (ohne es bewusst zu merken), um von sich loslassen zu können und bereit zu werden für den Anderen und dasjenige, was da zwischen einem entsteht.

18. November
Abends: ein männliches Schnarchen hinter mir, in der immer leerer werdenden S-Bahn. Bald die Endstation – wo bleibt er, den ich höre, aber dessen Gesicht ich nicht kenne in dieser Nacht?

19. November
Manchmal, wenn man vermeintlich allein mit sich ist, gibt es da so seltsame Übergänge – und aus einem inneren Schmunzeln wird ein hörbares Kichern und man selbst wird ein vernehmbarer Jemand im Raum.

20. November
Dammtor, Sternschanze, Holstenstraße… Ein ganzer S-Bahnwagen voller Menschen im Berufsverkehr, doch keiner spricht. Jeder ist mit sich und seiner großen Gedankenwelt allein unterwegs. Gedrängt auf engstem Raum sitzen Gedanken und Erlebtes beisammen, beisammen und getrennt zugleich. In Tuchfühlung mit dem Nachbarn laufen Blicke in die Leere.

27. November
Ein scharfkantig über den Asphalt schrappendes Blatt – und oben der Wind, der durch die Wipfel der Tannen rauscht.
Am Fenster das verhaltene Ratschen einer verdorrten Hopfenranke, als wolle noch jemand hinein.
Unterm Kissen das gedämpfte Ticken des Weckers, beim Versuch, die Zeit ruhig zu stellen.

3. Dezember
Das ist auch so ein Hörphänomen: wenn einem das Gesagte vom Anderen so dermaßen gegen den Strich geht, dass sich die eigene Stimme wie von selbst zum Widerspruch erhebt und man sich selbst wie einen Fremden reden hört.

4. Dezember
An Regentagen erzählt jeder Gullideckel eine andere Melodie – und doch ist es die selbe, unterirdisch verbunden.

5. Dezember
Ein Rollkoffer wird des Nachts durch die leeren Straßen nach Hause gezogen, biegt irgendwann um die Ecke und wird immer leiser. In der Stille der Nacht, auf dem Weg nach Hause ist es für mich, als könnten sich die Ohren nun erst wirklich öffnen. Da ist ein Kontrast erlebbar zu dem ganzen Rest des geräuschintensiven Tages, wo die Ohren in einer bestimmten Schicht anscheinend verschlossen bleiben…

21. Dezember
Sausendes Sturmheulen in den Wipfeln, als tiefes Brausen, das von unten kommt.
Im Zentrum – so nah an den knackenden Flammen, bekommt der kleine König einen Schubs, einen Schubs hinab zu seinem Gemach, hinab zu seinem Bett aus Blütenstaub. Die Königin des Mondes gab ihm diesen Schubs.
Nicht weit von uns ruft dunkel-tief ein Käuzchen.